Über Weimar

Die erste politische Kundgebung des Herbstes 1989

Stadtkirche St. Peter & Paul | Herderplatz

Immer mehr Menschen in der DDR waren aufgrund der strikt Reformen ablehnenden Haltung der SED-Führung unter Erich Honecker frustriert. Manipulierte Wahlen, Umweltverschmutzung, fehlende Wohnungen, baulicher Verfall, keine Reisefreiheit, keine Meinungs- und Pressefreiheit führten dazu, dass viele das Land verlassen wollten. Im August 1989 gründeten sich aber auch politische Initiativen mit dem Ziel, das Land zu verändern. Doch wo konnte man überhaupt frei reden?

In dieser Situation organisierten engagierte Christen in Weimar Informationsveranstaltungen, zunächst im Speisesaal eines Altenheimes der Diakonie, dann, als das Interesse gewaltig anwuchs, in der Stadtkirche. Für Mittwoch, den 4. Oktober 1989, luden sie unter dem biblischen Motto „Suchet der Stadt Bestes“ zu einem Gemeindeabend ein. Mit ihren 1100 Plätzen war die Kirche restlos gefüllt. Zweieinhalb Stunden lang wurde über die neuen politischen Bewegungen, über Missstände und Übergriffe der Staatsmacht berichtet. Die Menschen gewannen Mut. Erste Vorschläge für Veränderungen wurden laut. Ein offener Brief an den Rat des Bezirkes in Erfurt forderte dringende Reformen. Die Liste der Unterschriften mit Namen und Adressen war ein Zeichen des gewachsenen Selbstbewusstseins. Wegen des großen Andrangs wurde die Veranstaltung kurzfristig am Donnerstag, dem 5. Oktober 1989, wiederholt und mit Lautsprechern auf den Herderplatz übertragen. Für die Familien der in Leipzig aus politischen Gründen Festgenommenen kamen an beiden Abenden 14 000 DDR-Mark Kollekte zusammen. – Die beiden „Gemeindeabende“ gerieten zu den ersten politischen Großkundgebungen in der Stadt, sie waren der Auftakt der Herbstrevolution in Weimar.

Text: Dr. Christoph Victor / Evangelische Kirchengemeinde Weimar

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